Die Sache mit den Wespen

Die Sache mit den Wespen begann recht bald nach unserer Ankunft an der ersten Station unseres Sommerurlaubs, eines kleinen, sehr naturbelassenen Campingplatzes in der Nähe von Ratzeburg. Der Platz lockt mit Kanus, ohne Dauercamper und ohne Kinderanimationsprogramm oder ähnlich uns Abschreckendem und nach vier Tagen gefällt uns so ziemlich alles hier großartig, ganz besonders der direkt über die Straße gelegene Badesteg am See. Bis jetzt sind die Kinder ca. 3478 Mal vom Steg aus ins Wasser gesprungen und zeigen keine Anzeichen von Erschöpfung. (Ich zeige mich beeindruckt und genieße derweil meinen knallgelben Strandstuhl, geniale Erfindung sowas!)

 

Aber da ist halt diese Sache mit den Wespen. Es ist ja alles ganz normal: Es ist August, es ist heiß, es gibt Wespen. Und wenn man versucht, draußen zu essen, werden innerhalb von drei Minuten aus zwei entfernt herumkreisenden fünf bis zehn sehr nahe fliegende. 

Der Vater steht über den Dingen, "Das ist eben so, muss man sich nicht so anstellen.", während er ziemlich aggro nach der nächstfliegenden Wespe schlägt. Kind eins hat nicht nur gesunden Respekt, sondern geht eher in Richtung Panik, möchte sofort abreisen, zumindest aber nie wieder etwas essen und / oder das Wohnmobil nie mehr verlassen (außer um zum Steg zu gehen vielleicht). Kind zwei ist ein großer Naturfreund, kneift ordnungsgemäß Augen und Mund zusammen, wenn so ein Tierchen angeflogen kommt (und hat inzwischen auch aufgehört es anzupusten, das macht es nämlich aggressiv), und ist im Großen und Ganzen okay damit, sind ja schließlich ganz tolle Tiere. Die erste gemeinsame Mahlzeit verläuft entsprechend. Der Vater zieht die Stirne kraus und guckt genervt, während er einfach nach den Wespen schlägt, die was von seinem Teller abhaben wollen. Genervt ist er nicht (nur) von den Wespen, sondern eher von Kind eins, das, wie schon angedeutet, nach zwei Minuten jammernd die Flucht ergreift und sein Unbehagen laut und deutlich kundtut. Kind zwei guckt aus zusammengekniffenen Augen über den Tisch, während ich aus einer leeren Plastikwasserflasche eine Wespenfalle baue. Kind zwei und ich bauen eine Lebendfalle. Ich habe Sorge, dass es unpassend ist, auf einem Naturcampingplatz geschützte Tiere zu ermorden, Kind zwei hat allgemein Bedenken überhaupt irgendein Tier zu töten. Das sorgt nicht gerade für Entspannung beim Vater, der einfach weniger von den Biestern haben will, damit er in Ruhe seinen wohlverdienten Urlaub so genießen kann, wie er das will, nämlich entspannt draußen vor dem Camper essend mit fröhlichen Kindern und lächelndem Eheweib. Nach weiteren fünf Minuten gibt auch der kleine Naturfreund auf und ich reiche den Kindern ihr Essen hinter die Fliegentür des Wohnmobils. Da ich erwachsen bin und eine Ahnung habe, wie viel ihm diese Erholungspause vom Job bedeutet, bleibe ich tapfer neben dem besten Mann der Welt sitzen und versuche weiter zu essen. Es dauert allerdings nicht so richtig lange, bis auch meine Nerven streiken und wir beenden diese Mahlzeit zwar immerhin ohne laut geworden zu sein, Harmonie sieht jedoch auch anders aus. 

 

Wir hatten also am ersten Urlaubstag gleich schon einen wunderbaren Konflikt, der uns auch ganz sicher weiter begleiten und sich nicht von allein erledigen würde. Da war der Vater, mit seinem riesengoßen Bedürfnis nach Erholung und Entspannung und seiner klaren Vorstellung, dass Sommer draußen sein bedeutet. Kind eins mit panischer Angst vor Wespen (und so ziemlich den meisten anderen Insekten) und einem immensen Bedürfnis nach Sicherheit. Kind zwei, das auf keinen Fall wollte, dass das Ganze irgendeine Konsequenz für irgendeine Wespe hat und dem achtsamer Umgang mit Tieren so wichtig ist. Und dann gab es auch noch mich, die alle Seiten wirklich gut nachvollziehen konnte und ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Harmonie spürte.

 

(Die Wespen, wie ich inzwischen gelesen habe, haben übrigens in dieser Zeit hauptsächlich ein Bedürfnis nach Unterhaltung (quasi). Ihre Arbeit ist getan, ihr Sommer noch nicht vorbei, also schauen sie mal, was so geht....)

 

Was also tun. Als erstes machten wir Folgendes: Wir schwiegen über die ganze Angelegenheit. Die Kinder aßen drinnen, wir draussen. Auch bei der zweiten Mahlzeit. Ich stellte das Essen raus, der Ehemann setzte sich (er wäscht übrigens ab, ich koche, das ist bei uns so) und zack, aus zwei Wespen wurden fünf, am Mund. Ich sah weg. Er sah mich an. Die Kinder aßen drinnen lachend ihr Essen. Er: "Das sind schon wirklich viele." Ich: "". Dann wieder ich: "Wir essen drinnen." Er: "Okay." Und später: "Ich sehe es ja ein." Und ich später: Sorgte dafür, dass er und ich und die Kinder dann, wenn es für sie entspannt ist, draussen sind, draussen, draussen, draussen, am See, in der Hängematte, am Tisch vor dem Wohnmobil, wenn es dunkel wird und die Wespen schlafen gehen. Der beste Ehemann von allen hat sich entspannt, weil wir den wirklich allergrößten Teil der Zeit draussen sind. Kind eins hat sich ebenfalls größtenteils entspannt, da es jederzeit flüchten kann und hat nun sogar das Foto für den Artikel geschossen. Kind zwei hat die Wespenfalle weg geräumt.

 

Und ich freu mich, dass wir so gut funktionieren und manchmal mit wenigen Worten wieder zusammenfinden. Oder vielleicht auch gerade deswegen. Manchmal ist es sinnvoll, nicht gleich alles auszusprechen. So hat jeder Zeit, für sich zu gucken, was er oder sie tatsächlich braucht und auch dafür zu sehen, was bei dem anderen los ist. Denn der Vater hatte keinerlei Wunsch mehr, sich durchzusetzen, nachdem er gesehen hatte, wie stressig es für sein Kind wirklich ist (und dass es wirklich viele Wespen sind, wenn man Essen auf den Tisch stellt). Und als er gemerkt hat, dass sein Bedürfnis nach Erholung sich trotzdem erfüllt. Und Kind eins hatte keinen Wunsch mehr abzureisen, nachdem es sein Essen nicht zwischen fliegenden Stechinsekten mit Unterhaltungsbedarf einnehmen sollte.

 

Jetzt gerade ist der beste Ehemann von allen wieder ein wenig gestresst und die Kinder auch. Ich schreibe diesen Artikel nämlich zur Mittagshungerzeit, weil ich gerade so schön im Flow bin. Ob das so gewaltfrei ist? Ich mache lieber Schluß und wünsche weiterhin einen schönen Sommer!

 

Update: Vierter Tag, abends. Heute wurde der Hund in die Pfote gestochen, es ist immer noch so heiß und meine Nerven blank. Und während ich mich darüber bei einer Freundin ausweine und mir ein bisschen Mitgefühl hole, fängt Kind eins ganz selbstverständlich eine ins Wohnmobil verirrte Wespe mit einem Becher ein und lässt sie raus. Ohne jedes Anzeichen von Panik. Wird also wohl doch alles irgendwie :)

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0