Empathie für alle

Heute geht es um Empathie und wann wir sie geben können, bzw. wann nicht. Das erste Mal habe ich über dieses Thema vor zwei Jahren geschrieben. Unter dem Titel "Die Sauerstoffmaske" habe ich erklärt, dass es mit der Empathie ein wenig so ist wie mit der Sauerstoffmaske im Flugzeug: Man wird bei der Sicherheitseinweisung deutlich darauf hingewiesen, dass man sich bitte im Falle eines Druckabfalls im Flugzeug immer zuerst selbst die Maske aufsetzt und sich dann erst dem Kind, der älteren Person, dem Menschen neben sich zuwendet. Denn sonst kann es sein, dass man plötzlich selbst in Not gerät und nicht mehr genug Sauerstoff hat, um den/die andere/n zu unterstützen. Uns könnte buchstäblich die Luft wegbleiben.

 

Und genau so, wirklich ganz genau so, verhält es sich mit Empathie. Wir können nämlich nur dann unserem Gegenüber mit Empathie begegnen, wenn wir damit selbst ausreichend versorgt sind. Das heißt, wir finden nur dann einen Zugang zur Empathie für unser Gegenüber, wenn wir in diesem Moment selbst keine brauchen. In der GFK gibt es eine Übung, die häufig, insbesondere für Paarkonflikte, genutzt wird, und die diesen Zusammenhang, wie ich finde wunderbar, visualisiert: 

Die Sechs Stühle

Bei dieser Übung können zwei Konfliktbeteiligte mit Hilfe einer BegleiterIn wieder in Verbindung kommen. Jeweils drei Stühle stehen einander gegenüber, neben den ersten beiden Stühlen, steht der Stuhl für die BegleiterIn. Die beiden Parteien suchen sich nun einen Stuhl aus, der ihrer momentanen Situation entspricht. Sie haben die Wahl zwischen: "Ich möchte jetzt empathisch gehört werden.", "Ich kann jetzt empathisch hören." und dem dritten Stuhl, auf dem sie die Verbindung zur anderen Person spüren und bereit sind, in Richtung Lösung zu gehen. Und jetzt darf drei Mal geraten werden, wohin sich die Beteiligten in der Regel zuerst hinsetzen... Richtig, beide sitzen auf dem ersten Stuhl. Und schon haben wir den Salat. Beide brauchen in diesem Moment Empathie, beide wollen sprechen und keiner ist in der Lage, den anderen gerade wirklich zu hören.

Zwischen den beiden steht fast so etwas wie eine Mauer. Auf den Stühlen, wo gehört werden könnte, sitzt gerade keiner - was nun? In der Übung ist das kein Problem. Für diesen Moment ist die BegleiterIn da. Sie/Er kann zuhören, und zwar beiden. Damit allerdings nicht beide gleichzeitig reden, kommt zuerst der Mensch dran, bei dem die Not größer, das Bedürfnis gehört zu werden dringender scheint. Danach ist der andere dran. Die Magie dieser Übung liegt nun darin, dass eine Partei, die ausreichend gehört wurde, irgendwann den freiwilligen Impuls verspürt, den Platz zu wechseln und empathisch zu hören. Manchmal hört man dann zwar etwas, was einen schnell auf den ersten Stuhl zurück bringt - aber vielleicht sitzt das Gegenüber in diesem Moment schon auf dem zweiten Stuhl und so ist auch das kein Problem. Und wenn nicht, gibt es ja noch die BegleiterIn, die einspringen kann. Irgendwann sitzen beide auf dem dritten Stuhl. Mit Unterstützung konnte wieder eine Verbindung hergestellt werden, in einem Moment, wo zwei Menschen in einem Konflikt miteinander, selbst nicht die nötige Empathie aufbringen konnten.

Begleiter im Alltag

Mich begleitet dieses Prinzip der ausreichenden Empathie im Alltag ständig. Die ersten Male fiel es mir auf, wenn ich von einem GFK-Seminar wiederkam und merkte, wie leicht es mir fiel, auf die Wünsche und Bedürfnisse meiner Familie, meiner Kinder einzugehen. Auch auf solche, die ich sonst regelmäßig als ungeheuer anstrengend und herausfordernd empfand. Ich war ohne jede Anstrengung empathisch. Naja, manchmal nur fünf Minuten lang, gleichzeitig war das lang genug um zu merken: Wow, irgendwas ist gerade anders und es fühlt sich verdammt gut an. Inzwischen kann ich ziemlich genau sagen, warum es mir z.B. gerade nach (GFK-)Seminaren so gut geht und ich so viel Empathie habe. Denn egal, ob ich ein Seminar oder Workshop selbst gegeben oder daran teilgenommen habe, viele meiner Bedürfnistöpfe sind danach einfach erstmal bis zum Rand gefüllt, so sehr, dass es überschwappt. Z.B. mein Bedürfnis gehört zu werden,  mich mit meiner Leidenschaft für GFK zu zeigen, Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Rücksichtnahme, Unterstützung, Kooperation, Verständnis, Trost, Gemeinschaft, Leichtigkeit, Zugehörigkeit, Augenhöhe, Beteiligung, Entwicklung, Hören, Staunen, Feiern,... und eben auch, bis obenhin Empathie.

 

Ich komme also nach Hause und sitze nicht auf dem ersten Stuhl, sondern auf dem zweiten. Und als mir das klar wurde, habe ich meine Bemühungen, mir das im Alltag zu nutze zu machen, sehr intensiviert. Natürlich war mir auch vorher klar, dass ein Gespräch mit einer lieben Freundin mir hilft, Dinge auch wieder anders zu sehen und mich meinem Gegenüber wieder mehr zu zu wenden. Jetzt sorge ich jedoch viel gezielter für mich - um im Konflikt auch für die/den andere/n da sein zu können. Ich sorge deswegen für besseren Schlaf, für Pausen, für Raum für Dinge, die mir Spaß machen und mir gut tun, für regelmäßige Empathie mit anderen GFKlern.

 

Besonders deutlich wird die Sehnsucht nach Empathie, wenn ich mich mit dem besten Ehemann von allen streite. Wenn es bei uns mittelschwer bis schwer kracht, setze ich immer öfter ein "Stop" und suche mir erstmal eine Möglichkeit mich selbst zu sortieren. In dem Wissen, dass er gerade nicht geben kann, was ich brauche, nämlich gehört zu werden, und ich ihm das umgekehrt ebenfalls nicht bieten kann. Ich bin nicht offen für seine Worte, ich kann das schöne Bedürfnis hinter seinen Worten nicht hören, wenn in mir noch der Wolf wütet. 

 

Wie ich mir die Empathie hole, ist ganz unterschiedlich. Manchmal reicht die Runde mit dem Hund und die (ehrliche) Beantwortung der Fragen der Vier Schritte: Was ist tatsächlich passiert? Wie geht es mir damit? Worum geht es mir gerade? Was möchte ich jetzt tun?

 

Manchmal reicht das überhaupt nicht. Dann rufe ich eine gute Freundin an, auf deren (GFK-)Gespür und Empathie ich absolut vertraue und gebe mich praktisch in ihre Hände. Sie sitzt auf dem Stuhl der BegleiterIn und hört mich, bis ich wieder mit mir selbst in Verbindung gekommen bin. Ich telefoniere auch mit meiner Mutter oder mit anderen FreundInnen oder GFK-WeggefährtInnen. Wichtig ist dabei, dass ich irgendwo hingehe, wo nicht mein Wolf genährt wird, sondern ich von Giraffenohren und -herzen liebevoll wieder zu mir selbst begleitet werde - und oft reicht dafür schon jemand, der/die einfach nur zuhört und dass ich aktiv für meine Gefühle die Verantwortung übernehme.

 

Und dann, erst dann, gehe ich wieder zurück in den Konflikt, setze mich auf den zweiten Stuhl und höre meinerseits zu. Und zwar nicht immer gleich in der direkten Begegnung. Sondern ich denke erstmal für mich in Stille darüber nach, worum es ihm vielleicht geht. Oder spreche das mit meiner BegleiterIn an, höre ihre oder seine Vermutung dazu. Irgendwann bin ich dann ziemlich weich im Herzen und im restlichen Körper. Anders kann ich das gerade gar nicht nennen. Ich bekomme fast Sehnsucht danach, wieder in die Verbindung zu kommen.

 

So gehe ich in den direkten Kontakt zurück, voller Vorfreude, von ihm zu hören, zu schauen, ob es ihm wirklich um das ging, was ich vermutet hatte und auf das gemeinsame Lösungfinden. Es ist ein wunderbarer Moment, wenn wir uns dann auf dem dritten Stuhl gegenüber sitzen <3

Schleifen drehen / Solo tanzen

Hin und wieder - okay, ziemlich oft - kann es jedoch sein, dass wir ins Gespräch kommen und ich nach ein paar Minuten schon wieder ein Stop setze - oh nein, das war leider noch nicht alles! Und ich würde lügen, würde ich behaupten, das "Stop" käme als reiner, eleganter Giraffenschrei. Ich zerschlage verbal schon auch mal das gute Porzellan an der Wand, bevor ich tatsächlich zum Halten komme und mich wieder auf meine Bedürfnisse konzentriere, anstatt auf die rechtschaffene Empörung und die wilden Rachegelüste, die mich eigentlich gerade so anziehen...

 

Ich brauche schon wieder Empathie, ich sitze wieder auf dem ersten Stuhl. In ganz guten Fällen sitzt der beste Ehemann von allen in diesem Moment auf dem zweiten Stuhl, doch seien wir nochmal ehrlich: Das ist wirklich selten der Fall. Wir kennen unsere Knöpfe recht gut nach all den Jahren, und außerdem hat er sich auch nie offiziell zu GFK bekannt ;)

 

Ich gehe also wieder in meine Empathieschleife, setze mich auf den ersten Stuhl, sorge für eine Begleitung und bin gut zu mir. Wenn ich soweit bin, kehre ich zurück, oft begleitet von Freude über den Fortschritt, die Entwicklung, die dieser Konflikt mit sich bringt, meine und unsere. Ich lerne mich wieder näher kennen, genau wie ihn und vor allem auch uns. 

 

Es ist wie ein Tanz, in dem jede/r PartnerIn mal ein Solo aufs Parkett legt. Denn auch der beste Ehemann von allen nutzt die Zeit, die ich mir nehme, um sich zu klären (ganz ohne GFK, sagt er). Zumindest entnehme ich das seinen Worten, wenn wir wieder zusammen kommen. Jede/r von uns bekommt so Zeit, erstmal wieder mit sich in Kontakt zu kommen. Und wenn das geklappt hat, geht es miteinander viel leichter. 

 

Wie viele Schleifen es braucht, habe ich bisher als sehr unterschiedlich erlebt. Wir hatten schon schwierige Themen, die nur wenige Minuten gedauert haben und wir haben ein, zwei "Dauerbrenner", die uns wohl noch eine Weile begleiten werden. Seit ich mich auf diese Art mit meinem Partner streite, hat sich allerdings etwas für mich verändert und verändert sich noch. Mein Vertrauen in uns wächst, manchmal langsam, aber stetig und besonders auch mein Vertrauen in mich selbst. Das schenkt mir Ruhe und Gelassenheit, so dass manches, was früher zum Streit geführt hätte, nun quasi nicht mal mehr den Hund hinterm Ofen hervor lockt. Ich lerne mich immer besser kennen und verstehen und auch wenn das auch neue Herausforderungen mit sich bringen kann, macht es gleichzeitig so viel mehr möglich. 

Weg mit alten Überzeugungen

Ich empfehle also, ganz besonders bei Konflikten in der Partnerschaft: Erstmal gut für sich sorgen, mit sich selbst wieder in den Kontakt kommen, Empathie tanken, so viel, wie nötig. Sich dafür Begleitung suchen. ("Selbst"-empathie heißt nicht, dass man sie sich "selbst" geben muss. Es heißt nur, dass es um einen selbst geht.) Und dann erst auf den anderen Menschen schauen, quasi mit ausreichend Sauerstoff versorgt. Und sich um mehr Empathie-Sauerstoff kümmern, wenn es wieder notwendig wird.

 

Um einen Paarkonflikt gewaltfrei zu lösen, kann es notwendig sein, sich von einem alten Paradigma zu lösen: "Das müssen wir allein miteinander klären!". Wenn beide auf dem ersten Stuhl wüten und niemand ist da, um zuzuhören, dann kann es sehr sehr schmerzhaft und anstrengend werden und vielleicht lange unmöglich sein, wieder eine Verbindung herzustellen und die Liebe wieder zu fühlen. 

 

Also weg mit alten Überzeugungen, man müsste alles alleine hinbekommen. Wir sind soziale Wesen und wir brauchen Empathie. Und die kann nur freiwillig kommen, von jemandem der ausreichend damit versorgt ist, entweder weil er oder sie welche bekommen hat oder gerade keine braucht, weil sie oder er gar nicht persönlich involviert ist. Von jemandem, der/die quasi genug Luft hat zum Atmen :)

 

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen, heißt es in einem afrikanischen Sprichwort.

 

Es braucht zumindest ab und zu auch mal Unterstützung, um eine Beziehung zu führen.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Inga (Mittwoch, 21 Juli 2021 14:12)

    Liebe Christiane,
    bei deiner Metapher mit der Sauerstoffmaske viel mir zum Thema Selbstempathie das Gedicht der `Schale der Liebe`wieder ein, welches mich bei meinen GfK Einführungsseminar sehr berührt hat. Ich zitiere es hier einmal:
    Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal,
    der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt,
    während jene wartet, bis sie gefüllt ist.

    Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.
    Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein als Gott.

    Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See. Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen, und dann ausgießen.

    Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.
    Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
    Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?
    Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle,
    wenn nicht, schone dich. (Bernhard von Clairvaux)

  • #2

    Christiane (Donnerstag, 22 Juli 2021 11:11)

    Liebe Inga, danke, dass Du dieses Gedicht hier gelassen hast. Ich finde es wunderschön und sehr passend. Herzlichen Gruß