Wo ist meine Brille denn schon wieder?

Vorgestern habe ich eine Freundin kontaktiert und gestern kam sie dann vorbei, mit ein paar wunderbaren Geschenken: einem Schokocroissant, Zeit, Verständnis und Mitgefühl. Und machte etwas ganz tolles damit - nämlich den Tag und sogar noch den nächsten Morgen besser für alle Mitglieder meiner Familie .

 

Den Tagen davor war vor allen Dingen eines gemeinsam: Viel Unzufriedenheit und Wolfsgeheul meinerseits, Anspannung und Streitereien. Es fielen häufig Sätze mit "Warum müsst ihr eigentlich immer...?!", "Warum könnt ihr eigentlich nie...?!". "Nie kann ich ..!". Kurzum, es herrschte ziemliche Verzweiflung, Frust, Enttäuschung und Anspannung. Irgendwann kam mir dann doch mal in den Sinn, dass das Ganze vielleicht nicht ausschließlich damit zu tun hat, dass ich einfach die schlechteste Mutter der Welt bin. (Ein Gedanke, den ich bis heute leider nicht in jeder Sekunde von mir weisen kann, auch wenn mein Kopf es zumindest meistens schon für unwahrscheinlich hält ;)) Vielleicht brauchte ich nur ganz dringend etwas, was sich auf dem gewählten Weg nicht erfüllen ließ?

 

Also hinein in den Bedürfnis-Dschungel: Zunächst die üblichen Verdächtigen. Ruhe? Ja, bestimmt, immer, nur im Moment passt es damit eigentlich. Respekt? Hm, ja, nee, das ist auch okay. Harmonie: Puh, klar, die ist schön, gerade aber nicht dringend erforderlich. Selbstbestimmung! Nein, auch nicht.

 

An dieser Stelle entschied ich mich für ein bisschen Wolfsshow, um mir auf die Spur zu kommen und siehe da, nach drei Sätzen kam schon: "Ich meine es doch verdammt noch mal gut mit dem was ich den ganzen Tag reiße, aber das scheint ja wohl niemanden hier zu interessieren!" Aha. Gesehen werden mit meiner guten Absicht, das brauchte ich gerade sehnlichst... Meine Strategie der letzten Tage: Einer Zehnjährigen und einem Siebenjährigen Vorträge darüber zu halten, wie wichtig es ist, nicht zuviel Zucker/Fernsehen/Plastikspielzeug zu konsumieren, Ordnung in seinen Sachen zu halten und sich selbstlos an den Aufgaben des täglichen Lebens zu beteiligen und dafür Einsicht, Verständnis und Wertschätzung zu erhoffen. Nachdem ich mir das klar gemacht hatte, war ich nicht mehr so frustriert, sondern eher traurig, dass ich so einen Weg für uns alle gewählt hatte.

 

Ich möchte an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden. Ich halte alle diese Sachen für wichtig und möchte sie sehr gerne weitergeben. Nur ist der Weg über mündliche Vorträge und Ärger, wenn es bei den Adressaten scheinbar nicht so ankommt wie gewünscht, sicher nicht der effektivste von allen. (Siehe auch diesen Blogartikel.) Das Problem war mein Bedürfnis mit meiner guten Absicht gesehen zu werden, das nicht erfüllt war und in mir Frust und Zorn auslöste, so dass ich weit entfernt von Mitgefühl für meine Kinder und Verständnis für ihre Bedürfnisse und Wege mit Wolfsgeheul unseren Alltag begleitete.

 

Eine andere Strategie wollte also gefunden werden und das war ehrlich gesagt kein Problem. Es brauchte nur eine halbe Stunde mit meiner Freundin, einer erwachsenen Frau mit ähnlichen Wertvorstellungen und einem mir zugetanen Herzen, Austausch, Zeit, Mitgefühl, um das Bedürfnis mit meiner guten Absicht gesehen zu werden wieder aufzufüllen und mich in einen Zustand zu versetzen, in dem ich neben meinen eigenen Bedürfnissen die meiner Kinder gut sehen und gerne begleiten konnte. In dem ich meine Freundin kontaktierte, hatte ich mir meine Sauerstoffmaske aufgesetzt.

 

Ich bin nicht die schlechteste Mutter der Welt. Ich bin ein Mensch mit Bedürfnissen. Manchmal verliere ich das aus dem Blick und brauche eine Weile, bis ich meine "Bedürfnis-Brille" wiederfinde und die Welt durch sie betrachten kann. Wenn es soweit ist, löst sich der Ärger schnell auf, es kommt manchmal Trauer oder Enttäuschung, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist - und ziemlich bald danach eine gute neue Idee, wie ich für das Bedürfnis sorgen könnte. Und dann, dann wird es wieder ein bisschen leichter und ein bisschen schöner hier bei uns.

 

Ich trage sonst keine Sehhilfe. Ich werde mir trotzdem einen Zettel gut sichtbar aufhängen und auf dem wird stehen: "Denk an deine Brille!"

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